Franziska Füchsl
Lesung
Samstag, 08.06.2024
15.00 Uhr
Gespräch
Viola Rühse
Jene Buchstabenschnitte der Renaissance und Barock Antiquen „mit kleinen verdrehten Beinchen“, die die Striche der Breitfeder, eckige Kurven eingekloben haben, warum werden die nicht Grotesken genannt? Bonnaffeé schreibt Anfang des 16. Jahrhunderts über die „jüngst erfundenen Grotesken“, jene im grottenartigen Aushub unter Neros Domus Aurea gefundenen Malereien, sie haben „tausend Zierate mit kleinen verdrehten Beinchen“. Der Groteskenstreit der Renaissance wäre fortzuführen in der Typographie, wo sich doch an Groteskschriften nichts mehr zu verdrehen scheint. Das Verdrehen und Verrenken der in die Grotte gekauerten Leiber, die die Malereien der Neroära unter zitterndem Lichtschein abzeichneten, ist zwar ein situativer Zufall, aber Spiegelung der Motivik nichtsdestotrotz (der Mensch im Gebück).
Es kommt mir nicht sonderlich subjektiv vor, dass ich ein in einer oft semibolden Groteske gesetztes Buch, meist noch dazu ohne Rand, also ein Buch, das seinen Text, visuell geglättet an den Abgrund versetzt, ein Text, der mich beim Lesen regelmäßig über die Kante schubst in die Welt, ihre Wirtschaft, meinen Saustall außerhalb der Lesegrotte, am liebsten von mir werfen, es an einer Wand zerschellen lassen würde. Harte Worte für eine Feindseligkeit dem Lesen, die sich weich macht als State of the Art.
Während die Kritiker des Groteskenbegriffs (Kunstgeschichte) unter der Sonne über fehlende geistige Bezüge streiten, beginnt eine in die Gruft gekauerte, für eine umbrische Werkstatt arbeitende Abzeichnerin, sich in den Wandgrotesken wiederzuerkennen. (Franziska Füchsl)